Positionspapier Reinhold Pix zum Rotwildmanagement in Baden-Württemberg

Das Vorkommen des Rothirsches in Baden-Württemberg ist auf etwa 4% der Landesfläche begrenzt. Nach der Rotwildverordnung von 1958 ist das Vorkommen auf fünf so genannte Rotwildgebiete beschränkt. Die Grenzen der Rotwildgebiete wurden daran orientiert, dass dieser Wildart einerseits noch ausreichend große Lebensräume zu Verfügung gestellt werden und andererseits Schäden in der Land- und Forstwirtschaft minimiert werden. Ein möglichst naturnaher und stabiler Waldzustand ist aus Gründen der CO2-Senke und multifunktionaler Ansprüche (Wasserhaushalt, Boden, Luftreinhaltung, Erholung) von großem gesamtgesellschaftlichem Interesse. Hierbei spielt eine ausreichende Naturverjüngung –auch der Weißtanne- eine hervorragende Rolle. Übermäßige Verbiss- und Schälschäden sind daher in erträglichen Grenzen zu halten.

Seit dem Jahr 2000 befindet sich der Rotwildbestand im Nordschwarzwald, dem größten Rotwildgebiet Baden-Württembergs, in einem ungebrochenen Aufwärtstrend. Im Südschwarzwald dagegen wurde die Rotwildpopulation in den letzten Jahren massiv reduziert. Sehr grob geschätzt kann man von einem Rotwildbestand von ca. 4.500 Tieren in Baden-Württemberg ausgehen.

Inzuchtgefahr und genetische Verarmung

Obwohl die Rotwildgebiete Baden-Württembergs geografisch voneinander isoliert sind, bestehen zurzeit keine genetischen Defizite innerhalb der Populationen, wie genetische Untersuchungen der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt (2006) ergaben. Es gibt einerseits einen Austausch zwischen den ausgewiesenen Rotwildgebieten und andererseits innerhalb der Rotwildgebiete keine Reduktion der genetischen Variabilität. Aus genetischer Sicht befinden sich die Rotwildpopulationen in einem gesunden Zustand.

Erfolgreiches Rotwildmanagement erfordert großen Aufwand

Der Rothirsch ist ein genügsames Wildtier, das in unterschiedlichsten Klimabereichen leben kann. Ursprünglich ein Tier der halboffenen Landschaft wurde sein Verbreitungsgebiet aufgrund der Nutzungsansprüche des Menschen auf Waldgebiete beschränkt. Auch andere Teilbereiche Baden-Württembergs sind neben den ausgewiesenen Rotwildgebieten als Lebensraum geeignet, doch sind aufgrund der hohen Siedlungsdichte, des engmaschigen Straßennetzes (Wildunfälle) und der land- und forstwirtschaftlichen Produktion Konzeptionen für ein Rotwild-Management notwendig.

Im Schönbuch und  in den Wildbeobachtungsbereichen des Südschwarzwalds sieht man, dass bei einem entsprechenden Management Rothirsche für Bürger und Bürgerinnen erlebbar werden, ohne dass extrem hohe Populationen notwendig sind. Die Ausbreitung des Rotwilds im ganzen Land ist anzustreben und durch ein landesweites Management incl. Jagdkonzept zu begleiten. Dazu muss sich die trophäenorientierte Jagd des Landesjagdverbandes ändern, das Landesjagdgesetz bedarf einer Modifizierung. Eine konsequente Biotopvernetzung, wie von den Grünen gefordert, unterstützt die Ausbreitung des Rotwilds. Bestandteil dieses Konzepts muss auch die Offenheit und Toleranz gegenüber einer eventuellen Ausbreitung des Wolfes sein (Baden-Württemberg gilt als sog. „Wolfserwartungsland“).

Die Ruhebereiche im Südschwarzwald werden nur an drei Wochen im Jahr bejagt. Dadurch sind die Tiere in diesen Bereichen tagaktiv und vertraut. Es zieht sehr viele Tiere in diese Bereiche, da sie schnell lernen, dass ihnen dort nicht nachgestellt wird. Hohe Konzentrationen in den Ruhebereichen erfordern dort günstige Habitat­bedin­gungen. Im Südschwarzwald werden dementsprechend in Ruhebereichen spezielle Pflegemaßnahmen durchgeführt. Die wichtigste Maßnahme ist die starke Lichtung der monotonen, dunklen und extrem artenarmen Fichtenbestände. Dadurch werden diese Bereiche auch für das Auerhuhn attraktiv, es bildet sich eine reiche Heidelbeerschicht. Weichlaubhölzer wie die Vogelbeere stellen sich ein.
Gleichzeitig muss in den Ruhebereichen eine sehr durchdachte jagdliche Infrastruktur geschaffen werden, die es erlaubt, in der extrem kurzen Jagdzeit möglichst schnell und möglichst tierschutzgerecht möglichst viele Tiere zu erlegen. Dies ist allerdings nur dadurch möglich, dass in diesen Ruhebereichen höhere Wildkonzentrationen sind als auf der übrigen Fläche. Zusammenfassend kann man sagen, dass richtig gemanagte Ruhebereiche Wildtiere erlebbar machen, der Biodiversität dienen und ein hervorragendes und tierschutzgerechtes Mittel sind, um sehr schnell, tierschutzgerecht und effektiv den Rotwildbestand zu regulieren.

Widerstreitende Interessen von Waldbesitzern und Artenschutz

Der Einfluss von Wildtieren auf die Vegetation ist per se kein Schaden. Doch Schäl- und Verbissschäden können zu massiven Schäden in unseren Wäldern führen. Aus der Sicht des Natur- und Artenschutzes leisten Großsäuger wie der Rothirsch einerseits durch Schäle und Verbiss einen wichtigen Beitrag zur Offenhaltung der Landschaft, fördern die Strukturvielfalt, bieten Nist- und Aufzuchtorte für eine Vielzahl von Vögeln und Insekten. Andererseits kann dieser Einfluss aus Naturschutzsicht auch negativ werden, wenn Baum-, Strauch- und andere Pflanzenarten durch Schäle und Verbiss vermindert werden.

Ökologie und Ökonomie müssen sich in einem Wirtschaftswald auch unter Einbeziehung des Rotwildes nicht ausschließen, sondern können mit viel Erfahrung und gutem Willen zusammengeführt werden. Um die Zusammenführung unterschiedlicher Ziele zu erreichen, sind bei einem Wildtier, das so große Räume nutzt wie der Rothirsch, großflächige Konzeptionen unbedingt notwendig.

Erweiterung der Rotwildgebiete – eine Frage des gesellschaftlichen Konsenses

Eine Ausweitung der Rotwildgebiete oder gar eine völlige Auflösung der Rotwildgebiete bringt einige Probleme mit sich:

–       Rotwildunfälle sind wesentlich gravierender als Unfälle mit Rehen,

–       bei Ungunstverhältnissen kann Rotwild massive Waldschäden verursachen.

Hat man wirklich das Wohlergehen dieses Tieres im Auge, so muss das Management auf der Grundlage eines breiten gesellschaftlichen Konsenses basieren. Hierfür braucht man Konzepte an denen Jäger, Förster, die betroffenen Gemeinden, Grundeigentümer, Naturschutz, Tourismus und Raumplaner beteiligt werden. Ein großes Wildtier wie den Rothirsch (oder den Auerhahn, den Luchs, den Wolf oder den Bär) bekommt eine Gesellschaft nicht zum Nulltarif. Jeder muss seinen Beitrag hierfür leisten: Autofahrer müssen sich bei bestimmten Wildunfallschwerpunkten an die vorgegebene Geschwindigkeit halten, Outdoor-Sportler die Rückzugsgebiete respektieren und Jäger müssen durch möglichst kurze Jagdzeiten, Verzicht auf Nachtjagd und Kirrung ihren Beitrag zu tagaktiven Tieren leisten. Der finanzielle Ausgleich von Wildschäden muss auf möglichst viele Schultern verteilt werden. Gemeinden, die den Rothirsch als Tourismusattraktion einsetzen wollen, müssen sich engagieren.

Bei gesellschaftlichem Konsens kann der Rothirsch überall in Baden-Württemberg leben. Um diesen Konsens herzustellen und in eine anwendbare Konzeption umzusetzen, bedarf es eines guten Managements. Dazu gehört die Herstellung des gesellschaftlichen Konsenses, das Einbringen wissenschaftlicher Erkenntnisse für rationale Entscheidungen und die Umsetzung der Maßnahmen in die Praxis.

Dieser Aufwand wird umso höher, je mehr unterschiedliche Interessen unter einen Hut gebracht werden müssen. Eine unkontrollierte Öffnung der Rotwildgebiete ohne die Herstellung des gesellschaftlichen Konsenses würde sehr schnell wieder dazu führen, dass dieses größte Wildtier in Baden-Württemberg auf seine Eigenschaft reduziert wird, ökonomische Schäden in der Land- und Forstwirtschaft zu verursachen. Damit erweist man diesem Wildtier aber einen Bärendienst!

Sinnvoller ist es daher, erst in den derzeit bestehenden Gebieten Konzeptionen zu entwickeln und umzusetzen. Welch hoher Aufwand nötig ist, um den gesellschaftlichen Konsens für eine Konzeption herzustellen, zeigt die Entwicklungsgeschichte der Rotwildkonzeption Südschwarzwald. Hier arbeitet man seit sechs Jahren mit großem Erfolg an einer solchen Konzeption unter Beteiligung aller betroffenen Gruppen. Es wird angestrebt, dieses Wildtier in das Bewusstsein der Bevölkerung zu bringen und zu einem Teil der lokalen Identität zu machen.

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