Ein Viertel von Titisee-Neustadt ist jetzt grün

Badische Zeitung vom 28.3.11
Fast 25 Prozent der Stimmen für Pix / CDU-Chef Schindler hatte noch höhere Verluste erwartet und sieht die Atomdebatte als Ursache / SPD weiter im Sinkflug.

TITISEE-NEUSTADT. Klare Sieger der Landtagswahl sind in Titisee-Neustadt die Grünen: Mit 24,57 Prozent haben sie das Ergebnis von 2006 (10,21 Prozent) verzweieinhalbfacht: Hatte ihr Kandidat Reinhold Pix vor fünf Jahren noch 449 Stimmen bekommen, fanden sich diesmal bei der Auszählung 1304 Kreuze für ihn. Die Zugewinne der Grünen machen ziemlich genau die Verluste der Verlierer aus: Die CDU und auch die FDP, vor allem aber die SPD.
Bemerkenswert war die Wahlbeteiligung: Bei nahezu gleich vielen Wahlberechtigten wie 2006 machten mehr als 900 mehr Gebrauch von ihrem Recht. In Zahlen und Prozenten: Von 8762 Wahlberechtigten gingen 5385 zur Urne, das entspricht 61,46 Prozent. 2006 lag sie bei nur 50,52 Prozent. 5308 gültigen Stimmen standen 77 ungültige entgegen.

Mehr als 47 Prozent für die CDU – da sah es noch ganz danach aus, als sollte Titisee-Neustadt das Ergebnis auf Landesebene auf den Kopf stellen. Doch das war kurz nach 18 Uhr, als die fünf kleinsten der 18 Wahlbezirke ausgezählt waren. Je mehr Wahllokale ihre Meldungen gemacht hatten, desto stärker fielen die Christdemokraten ab auf schließlich 38,41 Prozent, knapp drei Prozent schlechter als 2006. 2039 Wähler stimmten für Klaus Schüle – deutlich mehr als 2006, als 1824 Stimmen für 41,47 Prozent reichten. 2001 hatte er noch 2197 Wähler für sich eingenommen.

Zweitstärkste Kraft in Titisee-Neustadt bleibt die SPD mit genau 25 Prozent, das waren 1327 Stimmen für ihren Kandidaten Walter Krögner. Allerdings haben die Genossen den freien Fall nicht aufhalten können, sie haben mehr als 9 Prozentpunkte verloren. Bei den vergangenen Wahlen hatten sie noch 34,72 Prozent (1527 Stimmen) geschafft, und das war knapp drei Prozentpunkte schwächer als bei der Wahl 2001.

Ein Verlierer der Wahl neben CDU und SPD ist auch die FDP, die gerade noch auf 5,54 Prozent kommt, dahinter stehen 294 Wähler für Nikolaus von Gayling. Vor fünf Jahren hatten die Liberalen 8,09 Prozent erreicht (356 Stimmen). Nicht einmal halb so viele Stimmen schaffte die Linke (129 entsprechen 2,43 Prozent). Die Piraten kamen auf 1,26 Prozent (67 Stimmen).

Ein klarer Verlierer sind die Republikaner, die nur noch 0,68 Prozent bekamen (36 Stimmen). Das heißt aber nicht, dass die rechten Kräfte erlahmt sind, denn die NPD erhielt 42 Stimmen (0,79 Prozent). Zusammen machen beide fast das Rep-Stimmen-Ergebnis von 2006 wieder voll.

Leopold Winterhalder, Grünen-Urgestein in Titisee-Neustadt war gestern Abend auf dem Weg zur Siegerparty in Freiburg, als die BZ ihn erreichte. Überrascht war er nur von der Höhe des Zugewinns an Stimmen, denn mehr Wahlkampf als vor fünf Jahren habe man nicht gemacht, allerdings habe man am deutlich stärkeren Zuspruch sogar während des Plakatierens gemerkt, dass einiges in Bewegung sei. Dass sich Leute als Grün-nahe zu erkennen geben, sei schon eine neue Qualität, früher hätten sie das nicht gemacht . Den Erfolg verbucht er regional bei der guten Arbeit, die Reinhold Pix geleistet hat, zum Beispiel in der Landwirtschaft, ansonsten bei den großen Themen Atomkraft und Stuttgart 21, die ja auch die Region direkt beträfen: Die Atomkraft sei eben nicht nur Japan, sondern auch Fessenheim und Leibstadt, und Stuttgart 21 sei eben auch das ständige Bangen um Höllental- und Dreiseenbahn. Dass die SPD so deutlich einstecken musste, fand Winterhalder überraschend, denn Walter Krögner habe durchaus einen guten Wahlkampf gemacht. Zum Ergebnis im Land freute sich Winterhalder, dass die Grünen die SPD überflügelt haben, wenn’s dann zum Schluss doch nicht klappen sollte, „liegt’s an denen“.

Titisee-Neustadts CDU-Chef Bernhard Schindler hatte mit einem noch deutlicheren Dämpfer gerechnet, wie er gestern Abend zugab und also noch halbwegs zufrieden war, dass er nur knapp drei Prozentpunkte Miese verbuchen musste. Klaus Schüle könne mit seinem Ergebnis in Titisee-Neustadt zufrieden sein und es als Bestätigung seiner persönlich engagierten, guten Arbeit werten.

Die Ursache für die Niederlage sieht Schindler in den übergeordneten Themen, zuvorderst der Atomdebatte. Er kritisierte die Querschüsse von Spitzenpersonal der eigenen Partei und des Koalitionspartners in Stuttgart und Berlin. Das Moratorium auszurufen hätte nach seiner Einschätzung gereicht, dann hätte man das Thema diskutieren können; das Abschalten habe die Glaubwürdigkeit erschüttert. Auch Stefan Mappus sei ein Teil des Problems, sagte Schindler, ohne näher darauf eingehen zu wollen. Der einzige Grund zur Freude für ihn: Die hohe Wahlbeteiligung.

Das Wahlergebnis ist für ihn keine Überraschung und nach den Ereignissen in Japan „mit Ansage“ gekommen, sagt Reinhard Feser, Bürgermeister von Lenzkirch und Vorsitzender des Bürgermeistersprengels im Hochschwarzwald. Es sei aber schade, dass ein Thema alle anderen so überlagert habe. Mit Blick auf die Themen erwartet Feser Auswirkungen auf den Hochschwarzwald: Die Entwicklung des Wintersports werde an Schwung verlieren, befürchtet er. Dafür werde eine grün-rote Landesregierung beim Tourismus möglicherweise andere Schwerpunkte setzen, sagte Feser.

Einer neuen Landesregierung müsse man jetzt die Chance geben, sich mit dem Tourismus im Hochschwarzwald auseinanderzusetzen, erklärte Feldbergs Bürgermeister Stefan Wirbser. Aber das Wahlprogramm der Grünen werfe aus Feldberger und Hochschwarzwälder Sicht Fragen auf. Er nennt die Beschneiung als Beispiel: „Da haben die Grünen eine bremsende Aussage gemacht“. Deren Wahlergebnisse sieht er deshalb skeptisch. Das Parkhaus werde aber dennoch gebaut, ist er sich sicher. Der Kabinettsbeschluss über einen Landeszuschuss liege schriftlich vor, auch eine neue Regierung werde sich daran halten müssen.

Der SPD-Kandidat Walter Krögner habe sich engagiert den Problemen der Region zugewandt und einen guten Wahlkampf gemacht, sagt dessen Vorgänger im Landtag, Gustav-Adolf Haas. Dennoch sei von vorneherein klar gewesen, dass ein Wiedereinzug für Krögner sehr schwer werden würde. Er hoffe deshalb, dass Krögner in fünf Jahren wieder antritt. Der Schlingerkurs der Landes-SPD zu Stuttgart 21 habe Stimmen gekostet. Krögner hätte mit seinen Schwerpunktthemen genauso gut für die Grünen antreten können, die Mehrheit habe aber jetzt lieber das Original gewählt, sagte Haas.

Trotz der Verluste für die SPD sei der Sonntag ein Freudentag für die Demokratie. „Der Platzhirsch ist uns abhandengekommen“, sagt SPD-Ortsvorsitzender Claus-Peter Wolf mit Blick auf den Wechsel von Haas zu Krögner. Dessen Entscheidung in diesem Wahlkreis zu kandidieren „war sehr heroisch“. Das Wahlergebnis zeige aber, dass es im Land eine Mehrheit links der Mitte gebe, sagte Wolf. Das alte schwarz-gelbe Netzwerk werde für die neue Regierung aber sicher einige Fallstricke bereithalten.  
Autor: Peter Stellmach und Sebastian Barthmes

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