Zu wenig Zeit, zu viel Bürokratie

Badische Zeitung vom 8. 12.2010

Zu wenig Zeit, zu viel Bürokratie
Bei einer Podiumsdiskussion der Grünen in Löffingen steht die medizinische Versorgung im ländlichen Raum im Mittelpunkt .

LÖFFINGEN. Noch ist der Hochschwarzwald bei der medizinischen Versorgung sehr gut aufgestellt. Ob es in zehn Jahren immer noch so aussieht, bezweifeln nicht nur die Grünen, die bei einer Podiumsdiskussion am Montagabend in der Touristinformation in ihre Strategien für eine neue Gesundheitspolitik darlegten.
Bärbl Mielich, gesundheitspolitische Sprecherin und stellvertretende Vorsitzende der Landtagsfraktion der Grünen, sagte, dass 23 Prozent der Hausärzte im Land 60 Jahre und älter sind und aufgrund fehlenden Anreizes keine Nachfolger finden. Zur Stärkung der ambulanten, wohnortnahen Versorgung müssten sie leistungsgerecht bezahlt werden. Rotationssysteme, Umsatzgarantien oder Teilzulassungen, der Aufbau von Gesundheitszentren und von regionalen Notfallpraxen, geregelte Arbeitszeiten, könnten die Arbeitsbedingungen verbessern.

Mehr Wertschätzung dem Beruf gegenüber fordert sie durch die Einrichtung eines entsprechenden Lehrstuhls an jeder medizinischen Fakultät. Die ambulante Gesundheitsversorgung in kommunaler Trägerschaft, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie (67 Prozent der Studienanfänger sind Frauen), der Ausbau von Hausarztverträgen sind weitere Vorschläge zur Verbesserung der Bedingungen.

Der Stärkung der Pflege durch selbständigeres Handeln komme der neue Studiengang des „Arztassistenten“ entgegen. Dies erfordere aber auch gleiche Rechte und Pflichten bei Kontrollen, Haftung oder Benchmarking, kommentierte der Löffinger Arzt Michael Stolz.

Mit regionalen Gesundheitskonferenzen und Gesundheitshäusern mit unabhängigen Patientenberatungsstellen, Pflegestützpunkten und Hebammenpraxen könnte die Versorgung im ländlichen Raum gestärkt werden, sagte Mielich.

Der Zunahme hochbetagter multimorbiden Patienten müsse mit dem Aufbau interdisziplinären Geriatrie-Stationen an allen Akutkrankenhäusern begegnet werden, fordert die Politikerin.

Darauf, dass man in Löffingen momentan auf fünf Ärzte zurückgreifen kann, ist Bürgermeister Norbert Brugger stolz. Die Altersstruktur erfordere aber von der Politik eine Bedarfsplanung für den Hochschwarzwald, wofür auch Bonndorf mit ins Boot genommen werden müsse.
„Hoher Verwaltungsaufwand, zu wenig Zeit und Geld für die Patienten, zu wenig Freizeit“ Götz Mischke
Für alles fehlt es an Zeit, sagte Götz Mischke, Allgemeinmediziner aus Waltershofen am Tuniberg . Zeit schaffen könne man durch die Delegierung von Organisation und Koordination, auch sollte man das Gesundheitswesen stärker mit Steuern finanzieren. Er fordert den gleichen Verdienst wie die Fachkollegen und die Bezahlung nach Aufwand.

Moderator Reinhold Pix, Verbraucherpolitischer Sprecher der Grünen im Landtag, fragte Achim Gauger, Pflegedienstleiter der Sozialstation Hochschwarzwald, nach drei Wünschen an Ministerpräsident Stefan Mappus: Er nannte eine höhere ideelle und finanzielle Wertschätzung des Pflegeberufs, einen Mindestlohn (die Privatisierung der Pflege habe aufgrund der untertariflichen Bezahlung eher geschadet) sowie eine enge Zusammenarbeit mit den Ärzten auf Augenhöhe, mehr Progressivität bei Hilfsmittelanforderungen und weniger Bürokratie.

Pflege brauche wirtschaftliche und ideelle Solidarität, selbst aufgebaute Netzwerkstrukturen mit Ärzten und Verbänden bestünden im Hochschwarzwald.

Die Probleme der freiberuflichen Hebammen erläuterte Susanne Rebholz aus Löffingen, für die ein 72-Stunden-Einsatz keine Seltenheit ist. Die ständige Verkürzung der Aufenthaltsdauer im Krankenhaus und der dadurch entsprechend höhere Mehraufwand der Hebammen, die Erhöhung der Haftpflichtversicherung und die Vergütung nach Hausbesuch und nicht nach Stundenaufwand hätten schon zehn Prozent der freiberuflichen Kolleginnen zur Aufgabe gezwungen. „Die Berufsunkosten müssen gedeckt werden“, lautet ihre Forderung.

Dass Fahrstrecken bei Fallpauschalen nicht berücksichtigt werden, mache die „Landarbeit“ zusätzlich mühselig, verdeutlichte ein Ärztepaar aus Titisee-Neustadt, das bei Wind und Wetter Patienten zwischen Höllental, Feldberg und Unadingen aufsucht. Ob das ein junger Arzt auf sich nehmen will, bezweifeln beide.

Auch die fehlende langfristige Berufsperspektive („alle zehn Jahre wird das Ruder herumgerissen und jedes Mal haben wir Einbußen von über zehn Prozent“) mache den Beruf unattraktiv. Michael Stolz glaubt nicht, dass sich junge Leute den „Schmäh“, den man sich als Allgemeinmediziner aufgrund geringer Wertschätzung auf sich nehmen muss, noch antun. Nur noch ein Bruchteil, von dem, was man gelernt habe, dürfe man anwenden, eigentlich werde man als Trottel abgestempelt. Vor 25 Jahren habe noch großes Interesse an einer Praxis in Löffingen bestanden, heute wolle kein einziger mehr her. „Das Zumüllen mit Bürokratie, der Zertifizierungswahn und das Qualitätsmanagement überstrahlt alles und hindert uns täglich in der Arbeit“, sagte er frustriert. Genau das mache den Hausarzt zur Mangelware, bestätigte Mischke.

„Die Standortnachteile könnten durch finanzielle Anreize ausgeglichen werden“, meinte Herbert Wiggert. Im Hinblick auf die von ihm bemängelte Feiertagsregelung sei der Hochschwarzwald viel besser bedient als Freiburg, sagte Mischke, der die Notdienstversorgung in private Hände geben würde.  
Autor: Christa Maier

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