Badische Zeitung vom 29.3.11
Da ist er wieder, der politische Standardsatz: Grüne und SPD wollen nach ihrem Wahl-Coup zuerst über Inhalte reden. Doch die Personaldebatte ist nicht aufzuhalten. Was wird aus den Grünen aus Südbaden?
STUTTGART. Seit in Nordrhein-Westfalen die rot-grüne Minderheitsregierung das Sagen hat, haben die obersten Landesbehörden lange Titel. Sie heißen „Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter“ oder „Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz“. Die künftige grün-rote Regierung in Stuttgart dürfte sich kürzer fassen. Neu zugeschnittene Ressorts wird es aber auch geben.
So will die SPD das Agrar- und Verbraucherministerium auflösen und die Agrarförderung dem Wirtschaftsressort zuschlagen, während der Verbraucherschutz etwa dem Umweltressort angegliedert werden könnte. Auch den Verkehr, derzeit Teil des Umweltministeriums, will die SPD mit der Wirtschaft vereinen – zu einem Infrastrukturministerium.
Kretschmann und Schmid sind gesetzt
In den anstehenden Sondierungsgesprächen wollen Grüne und SPD erst über Inhalte und die Strukturen der Ressorts reden. Trotzdem ist die Besetzung der Ministerien in den Kulissen längst Thema. Als stärkere Partei werden die Grünen mit Winfried Kretschmann selbstredend den Regierungschef stellen. Da beide Parteien auf Augenhöhe regieren wollen, werden die übrigen Kabinettsposten je zur Hälfte von Grünen und Sozialdemokraten besetzt. Klar scheint, dass SPD-Spitzenkandidat Nils Schmid aufs Finanzressort zugreift. Die Genossen werden zudem das Sozialressort für sich reklamieren, das die bisherige Fraktionsvize Katrin Altpeter übernehmen könnte. Innenminister dürfte ebenfalls ein Sozialdemokrat werden: Reinhold Gall, bislang parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion.
Im Gegenzug werden die Grünen das Umweltressort beanspruchen. Minister dürfte der Energieexperte Franz Untersteller werden. Eine weitere Schlüsselrolle kommt dem Staatsminister zu, der für den Ministerpräsidenten die Geschäfte regelt. Dieser Posten könnte auf die Heidelberger Grünen-Abgeordnete Theresia Bauer zulaufen. Zu hören ist, dass Kretschmann auch den früheren Grünen-Landeschef Andreas Braun ins Staatsministerium holen könnte.
Bonde als Wirtschaftsminister im Gespräch?
Unklar ist, welche Partei das Wissenschaftsressort und welche im Gegenzug das Bildungsministerium erhält. Als mögliche Wissenschaftsministerin ist zwar für die Grünen einmal mehr Theresia Bauer im Gespräch und als Kultusministerin die Mannheimer Bildungsbürgermeisterin Gabriele Warminski-Leitheusser. Doch Kretschmann hat zu erkennen gegeben, dass er die Schlüsselressorts Finanzen und Bildung ungern der gleichen Partei zuschlagen würde. In der SPD heißt es zudem, die Führung des Kultusressorts werde kein Zuckerschlecken, da die Erwartungen riesig seien. Sollte die Bildung an die Grünen fallen, wird mit einer externen Besetzung gerechnet. Die SPD hätte für das Wissenschaftsministerium die Kanzlerin der Uni Hamburg, Katrin Vernau, parat.
Das größte Tauziehen dürfte es indes um die Bereiche Wirtschaft und Verkehr geben – hier gibt es mit Blick auf Stuttgart 21 das größte Konfliktpotenzial in der Koalition. Die SPD will das gewünschte Infrastrukturressort mit Claus Schmiedel besetzen, einem ausgesprochenen Befürworter des Bahnprojekts. Für die Grünen käme als Wirtschaftsminister der Emmendinger Alexander Bonde, Chef der Landesgruppe der Grünen im Bundestag, in Frage. Für Verkehr hat die Partei mit dem Tübinger OB Boris Palmer, dem Tübinger Bundestagsabgeordneten Winfried Hermann und dem Stuttgarter Landtagsabgeordneten Werner Wölfle gleich drei Kandidaten – alle ausgewiesene Stuttgart-21-Gegner.
Was wird aus Sitzmann und Pix?
Schmiedel stellt sich heute der Wiederwahl zum Fraktionschef. Die Wahl müsste im Fall der Fälle in wenigen Wochen wiederholt werden. Die Grünen wählen erst kommende Woche. Als mögliche neue Fraktionschefin wird die Freiburger Abgeordnete Edith Sitzmann gehandelt.
Reinhold Pix, der überraschend den Wahlkreis Freiburg-Ost erobert hat, geht davon aus, dass entweder seine Kollegin Sitzmann oder er in irgendeiner Form an der Regierung beteiligt sein werden. Als Freiburger könnten sie mit ihrem Wahlergebnis ein ordentliches Pfund in die Waagschale legen, findet er. Sollte ein Amt zu ihm kommen wollen – zum Beispiel das des Ministers für Landwirtschaft, Verbraucherschutz und Tourismus – würde sich Pix diese Aufgabe als studierter Forstwirt, erfahrener Bio-Landwirt und erfolgreicher Öko-Winzer zutrauen.
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