Demonstranten einig in der Forderung: Mappus muss weg

Rund 400 Menschen haben heute in der Kaiser-Joseph-Straße gegen Stuttgart 21 demonstriert. In bissigen Kommentaren geißelten die Redner die Landesregierung und den Polizeieinsatz am Donnerstag. Ihre Forderung: Mappus muss weg.

So sieht eine Spontandemo aus: ein Megaphon aus den Urzeiten der Protestbewegungen, ein Küchentreppchen als Podest, selbst gemalte Pappplakate und ein Standortwechsel, damit die Straßenbahn durchkommt. Ein breites Bündnis von Grünen, SPD, Linke und Piratenpartei, unterstützt von bekannten Freiburgern wie dem Kabarettisten Matthias Deutschmann und dem Rüstungskritiker Jürgen Grässlin, hatte am Vortag zu der Kundgebung aufgerufen (Fotos).

Und gekommen ist – anders als bei den jüngsten Demos – tatsächlich ein breiter Querschnitt der Bevölkerung. Sie treibt die Empörung über den Polizeieinsatz im Stuttgarter Schlossgarten am vergangenen Donnerstag vor das Regierungspräsidium im Basler Hof – und auch die Aussicht, die Landesregierung zu attackieren.

„Merkel, Mappus, Rech – alle müssen wech“, steht auf einem Pappschild. „Flächenbahn statt Größenwahn“ oder „Demokratie muss anders aussehen“, fordern andere. Auf einem Button ist zu lesen: „Oben bleiben“ – und das ist keine Aufmunterung für den Sportclub, sondern ein Plädoyer dafür, dass der Stuttgarter Kopfbahnhof erhalten bleibt und nicht in die Tiefe verlegt wird. Eine Frau vom Fahrgastservice der Verkehrs-AG pflügt den Weg frei, damit die Linie 2 zum Siegesdenkmal kommt. Ein älterer Mann macht vor Schreck einen Riesensatz zur Seite.

Um kurz nach zwölf erklimmt Axel Mayer, der südbadische Geschäftsführer des Bundes für Umwelt und Naturschutz, um von „Trauer und Wut“ nach dem massiven Polizeieinsatz in Stuttgart zu sprechen. „Vor 35 Jahren haben wir in Wyhl das gleiche erlebt und erlitten.“ Weltweit fragten sich nun die Menschen: „Wo leben wir denn? In Baden-Württemberg oder in Moskau oder in Teheran?“ Der BUND und alle Umweltverbände lehnten Stuttgart 21 ab. „Die Milliarden fehlen an anderer Stelle: beim Lärmschutz an der Rheintalbahn, bei der Wartung von Fahrzeugen, bei der Sanierung von Bahnhöfen.“

Wer könnte Protest und Witz besser unter einen Hut bringen als ein Kabarettist, und ein renommierter hinzu? Matthias Deutschmann blickt in die Menge und sieht an diesem Mittag erfreut „eine nahezu polizeifreie Demokratie.“ Bis ihm klar wird, „dass die ja heute alle in Stuttgart sind.“ Die Freiburger sollten ihre Polizisten am besten zurückholen – „die sollen mit uns zu tun haben“, fordert Deutschmann. Bei der eskalierten Demo in Stuttgart habe es nur einen einzigen schwarzen Block gegeben: „Das waren die vermummten Polizisten.“ Innenminister Heribert Rech wirft er Volksverdummung vor, wenn er Wasserwerfer auf Sprühnebel reduziert. Wenn Ministerpräsident Mappus sagt, so etwas wie am Donnerstag darf sich nicht wiederholen, dann sage er: „So etwas wie Mappus darf sich nicht wiederholen.“ Sein Fazit: „Mappus muss weg.“

Die CDU habe seit Monaten an der Popularität des Ministerpräsidenten gebastelt, damit Stefan Mappus bei der Landtagswahl im März 2011 ähnliche Beliebtheitswerte aufweisen kann, wie seine Vorgänger Günther Oettinger und Erwin Teufel, berichtet der grüne Landtagsabgeordnete Reinhold Pix. „Mit dem Donnerstag haben sie das geschafft: Mappus ist auf der Titelseite jeder Zeitung.“ Die chinesische Regierung überlege derzeit, ob sie eine Protestnote an Bundeskanzlerin Merkel schicke, ätzt Pix. Der Winzer und Politiker redet sich in Rage, dass ein kleiner Junge fragt: „Ist der böse?“ Irgendwie schon. Pix pickt sich einzelne Teilnehmer heraus und fordert sie auf, die Demonstration zu verlassen: „Sie sind zu jung, Sie sind zu seriös, Sie sind zu alt.“ So wie diese dürften Demonstranten laut Stuttgarter Einschätzung nicht aussehen.

„Wer bislang unentschlossen war, der dürfte spätestens seit Donnerstag wissen, was hier im Land wirklich abgeht“, sagt SPD-Vorsitzender und Landtagsabgeordneter Walter Krögner. Er ist Mitglied einer Landtagsfraktion, die in Sachen Stuttgart 21 gespalten ist, aber nicht, was das Vorgehen der Polizei angeht. „Die Landtagswahl im kommenden März wird zum Volksentscheid gegen die schlagende Verbindung von Schwarz-Gelb.“

Stadtrat Michael Moos von den Unabhängigen Listen setzt den wirtschaftlichen Aspekt des Großprojekts in den Mittelpunkt: „Städte sind nicht dazu da, für Investoren Milliardengewinne abzuwerfen.“ Dass Stuttgart 21 ein Milliardengrab werde, gelte nur für den Steuerzahler, nicht aber für die Profiteure wie der Bau- und Finanzwirtschaft. Als Vorstandsmitglied der Vereinigung Baden-Württembergischer Strafverteidiger kündigt Moos an, „alle rechtlichen Schritte gegen den Polizeieinsatz zu prüfen.“

Weitere Redner sind Hannes Linck vom Regionalverband Südlicher Oberrhein des Verkehrsclubs Deutschland und Peer Villwock, Vorstandsmitglied der Freiburger Linken. Mit Sambatrommeln löst sich die Demo friedlich nach einer Stunde auf. Mit der Ankündigung von Jürgen Grässlin im Ohr: „Der Widerstand wird wachsen.“

Badische Zeitung vom 04.10.2010

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