Agrarpoltischer Stammtisch in St. Ulrich

BZ 23.10.2010

Ohne Strukturhilfen geht es nicht

Wie sieht die Landwirtschaft der Zukunft aus: Agrarpolitischer Stammtisch des Bildungshauses Kloster St. Ulrich.
BOLLSCHWEIL. „Landwirtschaft wohin?“ war das Motto des diesjährigen Agrarpolitischen Stammtischs des Bildungshauses Kloster St. Ulrich. Antworten darauf gaben Alfred Winkler, agrarpolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, Friedrich Bullinger, der diese Funktion in der FDP-Fraktion innehat, Reinhold Pix, der sich für die Fraktion der Grünen zu den Themen Forstwirtschaft, Verbraucherschutz und Tourismus äußert, sowie der CDU-Kreisvorsitzende Patrick Rapp, der im Frühjahr im Wahlkreis Breisgau für den Landtag kandidiert.
Moderiert wurde die Diskussion vom Bildungshausleiter Bernhard Nägele. Neugierig auf die Politikeraussagen waren rund 30 Männer und zwei Frauen, wobei etliche Besucher den Landwirtschaftsbehörden und dem Bauernverband zuzurechnen waren. Beim letzten Agrarpolitischen Stammtisch 2007 füllten mehr als 100 Interessierte den Ussermannsaal in St. Ulrich. Die geringe Besucherzahl dürfte den Strukturwandel spiegeln: 2009 registrierte das Statistische Landesamt noch 45 000 Betriebe in Baden-Württemberg und damit 30 000 weniger als vor zehn Jahren, wobei sich die mittlere Betriebsgröße von 19 auf 32 Hektar erhöht hat.

„Alle Agrarprogramme haben diesen Strukturwandel nicht verhindert“, stellte Alfred Winkler in seinem Eingangsstatement fest. Allenfalls begleiten könne die Politik diesen Wandel, ergänzte Friedrich Bullinger. Dennoch sehen beide Politiker weiter Zukunft für die Landwirtschaft in Baden-Württemberg, und zwar dann, wenn es den Landwirten, so Winkler, gelinge, sich mit „besonderen Produkten“ vom Weltmarkt abzusetzen. „Nur so behaupten sich auch die Automobil- und Maschinenbauunternehmen“, sagte er und mahnte Kooperationen der Vermarktungsunternehmen an als Antwort auf die Konzentration im Lebensmitteleinzelhandel.

Winkler, der in der Landwirtschaft aufgewachsen ist, und auch der ehemalige Schweinezüchter und promovierte Agrarwissenschaftler Friedrich Bullinger offenbarten in ihren Beiträgen profunde Kenntnisse der bisherigen Entwicklung und des Agrarpolitiksystems, wohingegen sich der Agrarpolitik-Neuling Patrick Rapp auf allgemeine Aussagen und auch Polemik gegenüber der Grünen Partei verlegte, wovon sich Reinhold Pix provozieren ließ, und in diesem Zusammenhang mehrfach sagte, Landwirte müssten weniger Auflagen und Kontrollen unterworfen sein, weil sie von sich aus die natürlichen Ressourcen schützten. Die europäische Agrargeschichte des 20. Jahrhunderts zeigt jedoch, dass das nicht stimmt, und ebenso die heutige Situation in anderen Kontinenten, wo eine unreglementierte Produktion die Umwelt und auch die menschliche Gesundheit erheblich schädigt. Warum das so ist, zog sich wie ein roter Faden durch die Diskussion: Die Nahrungsmittelpreise beinhalten nicht die Kosten der Umweltzerstörung. Weil jedoch die Gesellschaften in Europa auf Umwelt- und Gesundheitsschutz Wert legen, sei die Verknüpfung der Fördermittel mit Umweltleistungen nach Einschätzung von Friedrich Bullinger, Alfred Winkler und auch Reinhold Pix unabdingbar. „Nur so lässt sich die Agrarpolitik überhaupt noch gesellschaftlich begründen“, sagte Bullinger.

Pix forderte eine noch stärkere Kopplung, was die EU-Kommission jüngst vorgeschlagen hat, und eine stärkere Förderung von Landwirten, die auf die ökologische Produktion umstellen wollen. Und Winkler motivierte zu einer neuen Abwägung der betrieblichen Rentabilität: „In der Grünlandwirtschaft ist es möglich, dass der Gewinn bei einer weniger intensiven Produktion steigt. Die Kühe bringen zwar weniger Milch, es fallen aber auch geringere Kosten für Dünger und Futterzusätze an. Auf den Wiesen ist dann auch die Artenvielfalt wieder größer.“ Wenn das bei der Vermarktung herausgestellt werde, ließen sich auch höhere Erlöse erzielen, wie das Beispiel Südtirol zeige. Einhellig bejahten alle vier Politiker das bisherige Beihilfensystem, das eine gewisse Grundsicherung darstellt. Alle ließen keinen Zweifel daran, wie wichtig die Landwirtschaft für den Tourismus und für ungezählte Unternehmen in den vor- und nachgelagerten Bereichen ist. „Ein Euro Verkaufserlös beim Weizen löst auf dem Weg zum Verbraucher die siebenfache Wertschöpfung aus“, sagte Alfred Winkler.

Ebenso sprach sich das Quartett für eine begleitende Strukturpolitik aus, die unter anderem bewirkt, dass es auch in den Dörfern Arbeitspläzte und eine zeitgemäße Infrastruktur gibt.

In diesem Zusammenhang wurde über den Weiterbestand eines eigenständigen Fachministeriums für Landwirtschaft diskutiert. Für Patrick Rapp steht das außer Zweifel, denn der Ländliche Raum sei „die Lebensversicherung“ seiner Partei, ebenso für Reinhold Pix, wobei der die Bedeutung des Verbraucherschutzes wachsen sieht, während sich Winkler und Bullinger eine Eingliederung in das Wirtschaftsministerium vorstellen können. „Eine starke Fachabteilung ist besser als ein halblebiges Bauernministerium“, sagte Friedrich Bullinger.

Die Diskussion, an der sich die Besucher intensiv beteiligten, war weniger emotional, dafür fachlicher als das, was sich in früheren Jahren beim Agrarpolitischen Stammtisch in St. Ulrich abgespielt hat. Aus den Beiträgen der Landwirte war herauszuhören, dass sie sich Anerkennung wünschen für ihre Leistungen zum Umweltschutz und Landschaftserhalt und für die Produktion von hochwertigen Nahrungsmitteln, dass sie ihren Beruf gern ausüben, dass sie sich jedoch Sorgen machen, ob sie das noch bis zum Rentenalter können.

Verwandte Artikel